Verschwörungsideologie ist aktuell weit verbreitet. Menschen aller gesellschaftlicher Schichten und sozialer Gruppierungen hängen den verschiedenen Erzählungen an, das heißt sie halten sie zumindest zum Teil für wahr und verbreiten sie weiter. Andere wiederum stufen sie als absichtlich geschaffene Falschinformationen bzw. Nonsens ein. Beide Gruppen werten sich gegenseitig ab und versuchen ggf. sich durchzusetzen. Die gegensätzliche Position polarisiert gesellschaftliche sowie politische Diskussionen aber auch das persönliche soziale Umfeld in großem Ausmaß.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass schon sehr lange verschiedenste Verschwörungserzählungen, die menschliche Weltbilder erheblich beeinflussen, ohne großen Widerspruch existieren. Erst mit dem Aufkommen der Moderne und der Aufklärung konnten solche irrationalen Behauptungen von den Erkenntnissen von Wissenschaft und Vernunft unterschieden werden. Der Begriff der ‚Verschwörungstheorie‘ wurde sogar erst Mitte des 20. Jahrhunderts durch Karl Popper geprägt, der als ein Kriterium wissenschaftlicher Theorien benannte, dass sie prinzipiell widerlegbar sein müssen. Verschwörungsideologie ist unter anderem. dadurch geprägt, dass sie sich nicht infrage stellen lässt. (siehe Wie erkenne ich sie?)
Starke gesellschaftliche Krisen, wie Kriege, Pandemien oder revolutionäre technische Entwicklungen gelten als eine Triebfeder dafür, dass Menschen schmerzhafte und bedrohliche wirkende Erkenntnisse durch die Annahme von Verschwörungserzählungen ersetzen und diese auch verbreiten. Das kann auch zu politischer Radikalisierung, Mobilisierung und ideologischer Abschottung führen. Auf Dauer entwickelt sich ein abgeschlossenes, festgefahrenes Weltbild, das unabhängig von den konkreten Inhalten, alle gesellschaftlich bedeutsamen Ereignisse durch angebliche Verschwörungen erklärt. Diese Verschwörungsideologie ist aber keine rein persönliche ‚Fehlfunktion‘, sondern wird gerade durch den Austausch in sozialen Gruppen erschaffen, verbreitet und durch dauernde Wiederholung, auch mit sich wandelnden Inhalten, verfestigt. Die Auswirkungen auf das soziale Umfeld (Link)wie Partnerschaften, Familie, Freundschaften, Arbeits- oder ehrenamtliche Gruppen sind schwerwiegend.
Auf gesellschaftlicher Ebene dient Verschwörungsideologie gerade denjenigen Gruppen, die von sich denken, zu wenig Einfluss auf gesellschaftliche Vorgänge zu haben, als Erklärung für ihre Situation. Schlimmer noch: sie rechtfertigen damit, Gewalt gegen das von ihnen benannte ‚ystem‘ anzuwenden, ohne dessen Werte, Gesetze, Regeln und Konventionen zu achten. Daher sind Verschwörungserzählungen ein notwendiger Bestandteil jeder radikal rechten Gruppierung, die diese bewusst einsetzt, um ihre völkisch-autoritäre Ideologie der Ungleichwertigkeit zu verbreiten.
Verschwörungserzählungen haben eine Jahrhunderte alte Tradition, weisen eine ähnliche Struktur wie Antisemitismus auf, emotionalisieren stark und haben über Mechanismen der Gruppenbildung und die Bekämpfung von gegnerischen Gruppen eine identitätsbildende Funktion. Daher funktionieren sie oft als ‚Brückenideologie‘ zwischen so unterschiedlichen Strömungen wie dem Antifeminismus, der Leugnung des Klimawandels, Impfgegnerschaft, Esoterik, religiösem Fanatismus oder allgemein gesellschaftskritischen Kreisen. Mit Hilfe dieser Metaerzählung der angeblichen Weltverschwörung nutzt die extreme Rechte die ökologischen, gesundheitlichen und politischen Krisen der Postmoderne letztlich dazu, gesellschaftlichen Raum zu gewinnen.
